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Das Scheitern des Ökumenismus: Was es heißt, theologische Unterschiede ernst zu nehmen (Γερμανικά, German)

18 Αυγούστου 2009

Das Scheitern des Ökumenismus: Was es heißt, theologische Unterschiede ernst zu nehmen (Γερμανικά, German)

Αποψη των τοιχογραφιών του τρούλου από τον ναό του Αγίου Ευφημιανού στη Λύση. Οι τοιχογραφίες αυτές βρίσκονται επί δανείω σήμερα στην κατοχή του Ιδρύματος Menil, στο Τέξας των ΗΠΑ.

Αποψη των τοιχογραφιών του τρούλου από τον ναό του Αγίου Ευφημιανού στη Λύση. Οι τοιχογραφίες αυτές βρίσκονται επί δανείω σήμερα στην κατοχή του Ιδρύματος Menil, στο Τέξας των ΗΠΑ.

Dieser Aufsatz wurde mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers übernommen aus: Der Schmale Pfad Bd. 23, März-April 2008, 121-147. Im Druck: eine bearbeitete Fassung von ” Why Ecumenism Fails: Taking Theological Differences Seriously” in Christian Bioethics 13.1 (April 2007). Übersetzt von Johannes Wolf und Corinna Delkeskamp-Hayes, veröffentlicht mit Genehmigung von Christian Bioethics, Inc. (www.orthlit.de)

1. Die heutige westliche Theologie und die Theologie der Kirche des ersten Jahrtausends: Bioethik und die Kulturkonflikte des 21. Jahrhunderts

Man kann heute von dem einen Christentum auf der Welt nur in dem ungefähren Sinne reden, in dem man auch gemeinhin von der einen „Medizin” redet. Auch dort sieht man nämlich von überaus verschiedenartigen und in weiten Bereichen miteinander unvereinbaren Verständnissen ab, wenn man z.B. die in den entwickelten Ländern praktizierte wissenschaftliche Medizin neben den Sonderformen der Homöopathie, Chiropraxis, Hydrotherapie und Naturheilkunde, oder gar gemeinsam mit der der traditionellen chinesischen oder auch indianischen Medizin insgesamt unter den Begriff der „Medizin” zusammenfaßt. All diese verschiedenen Weisen „Medizin zu treiben” sind sich ja durchaus nicht einig darüber, was „Krankheit” oder „wirksame Behandlung” genau bedeuten soll. Dennoch sind diese Weisen durch gewisse Familienähnlichkeiten lose miteinander verbunden, und diese Familienähnlichkeiten erlauben es, sie alle dennoch als „Medizin” zu bezeichnen. In derselben Weise gibt es nicht eine christliche Theologie, und somit auch nicht eine christliche Bioethik, sondern beides wiederum nur in einem auf solche Familienähnlichkeiten gegründeten ungefähren Sinn. Wie in der Medizin, so bestehen zwischen Vertretern der verschiedenen Christentümer fundamentale Uneinigkeiten darüber, wie das angestrebte Ziel (dort einer wirksamen Heilung, hier eines wahrhaft christlichen Lebens) erreicht werden kann. Darum würde kein Mediziner (irgendeiner Spielart) auf die Idee kommen, zwischen der wissenschaftlichen und den verschiedenen nicht-wissenschaftlichen Arten, Medizin zu treiben, einen „ökumenischen Konsens” zu suchen. In eben derselben Weise gilt diese Unsinnigkeit auch von den verschiedenen Christentümern. Eben diese Unsinnigkeit wird jedoch im herrschenden ökumenischen Diskurs nicht wahrgenommen. Woran liegt das?

Zu den wichtigsten unterschiedlichen „Spielarten” des Christentums gehören einerseits die großen Konfessionen des „Westens” – d. h. der römische Katholizismus und die verschiedenen Protestantismen -, andererseits die Kirche des ersten Jahrtausends. Die ökumenische Diskussion beschränkt sich im Wesentlichen auf die ersteren. Hier werden die Unterschiede vermutlich insbesondere dadurch verschleiert, daß römische Katholiken und Protestanten in eine gegenseitig einander definierende Dialektik eingebunden sind. Der Protestantismus erwuchs aus dem Versuch, den offensichtlichen Häresien der mittelalterlich geprägten Christenheit Westeuropas (z. B. der universalen Jurisdiktion des Papstes, der Behauptung eines Fegfeuers und der Ablaß-Praxis) entgegenzutreten. Dieser Versuch aber vollzog sich im Rahmen einer Sprache und Begriffswelt, die ihrerseits jener kulturellen Synthese aus Theologie und heidnischer Philosophie entliehen war, welche den römischen Katholizismus im Hochmittelalter prägte. Auch die Protestantische Reaktion ging mithin von Annahmen aus, die sich jener Synthese verdankten, die dabei aber, ebenso wie die römisch katholischen Überzeugungen, vom Glauben der Kirche des ersten Jahrtausends abwichen. Zu diesen aus dem Katholizismus vom Protestantismus übernommenen Annahmen gehörten insbesondere, daß die göttliche Gnade sich als „geschaffene” manifestiert und daß die Erlösung des Menschen nicht länger in seiner Vergöttlichung besteht. Diese einschneidenden Veränderungen gehen auf Augustinus von Hippo (354-430 A.D.) zurück, dessen theologische Schriften im Bereich des lateinischen Christentums unverhältnismäßig tiefergreifenden Einfluß ausübten als in den griechischen Zentren der Alten Kirche. Andererseits übernahm der Protestantismus aus Augustin Positionen, die von katholischer Seite stets mit weiser Skepsis marginalisiert worden waren, als für sein eigenes Verständnis des Christentums wesentlich (z. B. die Prädestination der Heiligen). Solche Rückgriffe auf einen in Rom besonders geschätzten Kirchenvater geschahen zwar in Opposition zum römischen Katholizismus (z. B. zur dort bejahten Werkheiligkeit), blieben aber weiterhin dem intellektuellen Erbe des Katholizismus verpflichtet. Bereits früh nämlich hatte sich im lateinischen Westen eine der ökumenischen Einheit des größeren Mittelmeerraumes gegenüber relativ eigenständige Kirche herausgebildet. Durch die Errichtung eines neuen westlichen Imperiums im Jahr 800 unter Karl dem Großen1 verfestigte sich dieser Sonderweg besonders dadurch, daß die westliche Kirche nun überdies dem byzantinischen Reich gegenüber eigene imperiale Ansprüche stellte. So entstand jene besondere Kultur, die die theologischen Rahmenbedingungen auch für die protestantischen Reformbemühungen bereitstellte. Und so gestalteten in der Folge die wechselseitigen Auseinandersetzungen beider Konfessionen auch das Selbstverständnis sowohl der römischen Katholiken der Neuzeit als auch der wichtigsten Protestantismen. Zunächst definierten die Protestanten sich durch ihre Kritik an den Römern, indem sie sich (z.B.) auf die in der alten Kirche anerkannten Priester-Ehen beriefen und die ausschließlich zölibatäre Priesterschaft als illegitime Neuerung ablehnten. Im nächsten Schritt definierte sich die Römische Selbst-Wahrnehmung aus ihrem Gegensatz gegen die Protestanten: hierfür bilden das Konzil von Trient (1545-1563) und die Gegenreformation hervorstechende Beispiele. Erst auf dem Konzil von Trient (um nur ein Beispiel für die Rolle dieser Auseinandersetzungen für das eigene Selbstverständnis anzuzführen) legte die römische Hierarchie ihre allgemein verbindliche de fide Liste der Bücher der Bibel fest2. Ungeachtet der sich herausbildenden Gegensätze beider Konfessionen blieben jedoch römische Katholiken wie auch Protestanten der im lateinisch geprägten Westen bereits verbreiteten Ansicht verhaftet, die diskursive philosophische Vernunft bilde den Kern jeder Theologie. Es war dieses intellektuelle Erbe, das die westlichen Formen des Christentums immer weiter von der Alten Kirche entfernte.

Die großen Christentümer des Westens haben seit dem Hochmittelalter ihre Theologien immer stärker akademisiert, d.h. unter den Einfluß philosophisch rationaler Forschungs- und Darstellungsweisen gestellt. In der Folge gerieten sie dadurch immer tiefer in eine Bringschuld gegenüber jenen Anforderungen (an begriffliche Konsistenz und empirische Verifizierbarkeit), die den philosophischen und naturwissenschaftlichen Diskurs in einer zunehmend säkularen Kultur bestimmten. Stets führen ja unbedacht vorgenommene Anleihen bei der Logik oder Methodik einer umgebenden Kultur dazu, daß die eigene Theologie sich unmerklich und zunehmend nach dem „Bild und der Ähnlichkeit” des säkularen Charakters dieser Kultur verwandelt. Ein gutes Beispiel hierfür bietet die Weise, in der, nach Bild und der Ähnlichkeit der umgebenden Toleranzkultur, die moralische Akzeptanz von Abtreibungen oder homosexuellen Verbindungen in immer weiteren christlichen Kreisen zunimmt, während doch solche Praktiken seit zwei Jahrtausenden von der christlichen Tradition verurteilt werden.3 Weil sie die geltenden säkularen Denk- und Urteilsweisen verinnerlichen, sind die Christen des Westens einerseits dabei, sich immer mehr vom Christentum des ersten Jahrtausends zu entfernen. (Dieses ursprüngliche Christentum werde ich als „traditionelles Christentum” bezeichnen.) Die Theologie der westlichen Christen wird dabei immer unvereinbarer mit der traditionellen Theologie. Diese westliche Theologie gleicht sich darum andererseits der säkularen Kultur, mitsamt ihren erkenntnistheoretischen und normativen Kriterien, immer stärker an.

Wie bereits bemerkt bildete die Grundlage dieser Veränderung die Hinwendung zur spekulativen Philosophie als Kernelement der Theologie, die in der Scholastik ihren Höhepunkt erreichte. Diese Hinwendung markierte den Beginn einer folgenschweren kulturellen Umdeutung des Verhältnisses zwischen menschlicher Vernunft, Theologie und christlicher Kultur. Die diskursive Rationalität und die spekulative Vernunft wurden bevollmächtigt, theologische Inhalte zu ordnen und zu bewerten. Am Ende dieser Entwicklung stand die Bereitschaft, die Theologie überhaupt einerseits als bewußt „post-traditional” zu modifizieren, andererseits sie in eine Moralphilosophie zu verwandeln, die nicht mehr von einer lediglich säkularen moralischen Reflektion zu unterscheiden ist. Einerseits besrufen sich mithin jene Christen, die die Kultur der Moderne verinnerlicht haben, nun auf die Vernunft, um Gott, Der uns doch Seinen eigenen Namen offenbart hat, neu zu benennen. Sie nennen Ihn „Mutter” statt „Vater” und nehmen sich die Freiheit, selbst die Trinität neu zu besetzen als „mitfühlende Mutter, geliebtes Kind und lebenspendender Mutterschoß” anzurufen (Migore 2006, S. 3). Andererseits wird dabei der Hinblick auf die Sünde durch die Sorge um moralische Korrektheit reduziert; Leiden, Krankheit und Tod werden von der mit dem Sündenfall Adams verknüpften Distanzierung des Menschen von Gottes lebenspendenden Energien getrennt und somit als „natürlich” angesehen.

Für Christen, die in einer so geprägten „westlichen” Kultur aufgewachsen und von ihr geprägt sind, ist es darum ganz ungewohnt, das „traditionelle Christentum” des ersten Jahrtausends nicht als eine überholte Kultur- und Glaubensstufe anzusehen. Ihnen bleibt nur, all jene, die sich auch heute noch zu dieser Tradition bekennen, als „fundamentalistisch” und „nostalgisch” abzuwerten. Es ist im Umkreis der durch die Scholastik geprägten Christentümer weitgehend unbekannt, daß die Theologie des ersten Jahrtausends auch im 21. Jahrhundert überall auf der Erde in ungebrochener Treue gelebt wird und eine beträchtliche (wenn auch in der westlichen Öffentlichkeit wenig beachtete) „Gegen-Kultur” bildet.[*] Wo diese wahrgenommen wird, hindert die herrschende Überzeugung, daß sich wissensmäßge und normative Ansprüche grundsätzlich im Forum öffentlicher gesellschaftlicher Auseinandersetzung zu bewähren haben, daran, die Existenz jener Gegenkultur theologisch ernst zu nehmen. Aber diese Forderung ruht ihrerseits bereits auf jener Unterordnung theologischer Diskurse unter das Verdikt säkularer Rationalität, durch die das scholastische Christentum sich vom traditionalen Christentum abgewandt hatte. Das Ausmaß der dadurch bewirkten theologischen Kompromittierung wird deutlich, wenn man bedenkt, dass Christen dazu aufgerufen sind, sich gerade nicht ihrer Umwelt anzupassen, sondern diese zu verändern, sie zu bekehren und zu heiligen. Die Bestätigung, die die einige Kirche der ersten dreihundert Jahre von ihrer säkularen Umwelt zu erlangen suchte, bestand in der Taufe der Mitglieder dieser Umwelt. Ebenso muss sich das Christentum, wenn es seiner Berufung gerecht werden soll, auch im 21. Jahrhundert öffentlich dadurch als „akzeptabel” erweisen, dass es die Öffentlichkeit durch Beichte, Umkehr, Taufe und, wenn nötig, das Martyrium, auf seinen Weg bringt. Bei alledem bleibt entscheidend nicht seine „soziale Akzeptanz”, sondern seine Akzeptanz durch den lebendigen Gott. Ein Christentum, dass dieser Berufung gerecht wird, ist „traditional” im Sinne einer erfolgreichen Weitergabe der Lehren, der paradoseis [2 Thes 2:15] der Apostel. Es ist damit zugleich „traditional” im Sinne einer fortwährenden Leitung der Kirche durch den Heiligen Geist, Der die Einheit dieser Kirche über Generationen hinweg sichert.

Erst der Blick auf diese traditionale Alternative enthüllt das Ausmaß der eingangs festgestellte Zersplittertheit miteinander tiefgreifend unvereinbarer Christentümer deutlich. Diese Alternative setzt der hier im Westen herrschenden Tendenz, das Christentum der säkularen Umwelt anzupassen, entschiedenen Widerstand entgegen. Nur von ihr her begreift man die Vergeblichkeit aller Bemühungen, auf dem Wege über diskursive Verabredungen zu gemeinsamen moralischen oder dogmatischen Grundannahmen, und damit zu einer inner-christlichen „Ökumene” zu gelangen. Bevor jedoch ein sinnvollerer Weg zur christlichen Ökumene gewiesen werden kann, müssen die Unterschiede noch ein wenig deutlicher herausgearbeitet werden. Dies soll in den folgenden beiden Abschnitten geschehen.

 

II. Theologie, Philosophie und Modernität: die Kluft zwischen traditionellem und post-traditionellem Christentum

Wie bereits festgestellt resultierten die miteinander in Konflikt stehenden Auffassungen über Christentum und Theologie, die das traditionelle Christentum von den vorherrschenden modernen Christentümern des Westens unterscheiden, im hohen Maß aus dem für diese letzteren Christentümer charakteristischen Versuch einer Synthese von Philosophie und Theologie. Diese Synthese prägt auch heute noch das westliche Christentum. Sie hat aus der Theologie primär eine akademische Disziplin gemacht. Damit hörte, und dies geschah bereits im europäischen Mittelalter, die Philosophie auf, lediglich als demütige Magd der Theologie zu dienen, indem sie die Mühsal begrifflicher Analyse oder der Herausarbeitung von Anwendungen theologischer Wahrheiten auf sich nahm oder auch nur rhetorische Hilfsmittel im Kampf gegen Häretiker bereitstellte.4 Ihre zunächst nur untergeordnete Rolle abstreifend, eroberte die Philosophie den Rang einer herrischen Gebieterin. Dabei verwandelte sich die Theologie gemäß den von der Philosophie auferlegten Bedingungen.

Um diesen Rollenwechsel zwischen Philosophie und Theologie genauer einschätzen zu können, muß man die Vieldeutigkeit der Begriffe „Philosophie” und „Theologie” in Rechnung stellen. Beide Begriffe umfassen eine ganze Reihe verschiedener Vorgehensweisen. Was die Philosophie betrifft, lassen sich wenigstens sechs Bedeutungen unterscheiden.

1. Philosophie als spekulative, diskursive, rationale Erforschung des Seins. Diese schließt die allgemeine und (z. B. mit der rationalen Psychologie) die spezielle Metaphysik mit ein. Sie beruht aussschließlich auf der menschlichen Fähigkeit zur diskursiven Reflexion [„dem verständigen Reden und Nachdenken”].

2. Philosophie als begriffliche Analyse der Reichweite und Stichhaltigkeit von Behauptungen und Argumenten, sowie verschiedener Weisen, die Realität und Moral zu erfahren und zu verstehen. Für die Beziehungen der Philosophie zur Theologie ist wichtig, daß hierbei Behauptungen und Argumente unberücksichtigt bleiben, die sich auf geistige (noetische) Erfahrung gründen.5 Ziel einer solchen philosophischen Analyse ist ein substantieller Fortschritt in der Erkenntnistheorie, der Metaphysik und der Moraltheorie (samt der zugehörigen Bioethik). Diese Bedeutung umfaßt die zeitgenössische analytische und hermeneutische Philosophie.

3. Philosophie als methodisch kontrollierte Beschreibung und Analyse von Bewußtseinsinhalten (die noetisch Vermitteltes wiederum ausschließen) mit dem Ziel, neues Wissen über die Realität und die Moral zu erschließen. Diese Bedeutung umfaßt die Phänomenologie.

4. Philosophie als das Streben nach Klarheit, sofern diese sich durch begriffliche Unterscheidungen, Herleitung von Folgerungen, und Aufdeckung von Voraussetzungen gewinnen läßt. So lassen sich vorgegebene moralphilosophische, metaphysische und erkenntnistheoretische Positionen hinsichtlich ihrer Implikationen ausdeuten. Dabei wird aber nicht zugleich der Anspruch aufgestellt, es ließen sich hierdurch substantielle Fortschritte im Verständnis von Moralphilosophie, Erkentnistheorie oder Metaphysik erzielen.

5. Philosophie als der Einsatz diskursiver Überlegungen zur Unterstützung und Förderung der Einsehbarkeit der je eigenen religiösen/metaphysischen/moralischen Position. Die hierbei angebotenen Argumente und Analysen gelten allerdings nicht selbst schon als hinreichend, um diese Position als stichhaltig und vernünftig zu erweisen. Es wird zugestanden, daß für einen solchen Erweis weitere Prämissen und Regeln der Beweisführung als gültig vorausgesetzt werden müssen. (Dieses Verständnis herrschte bei den Sophisten, vielen Rhetorikern und den frühen christlichen Apologeten vor.)

6. Philosophie als das Streben nach und/oder als Ausdruck der Wahrheit des Christentums, geleitet durch den Heiligen Geist.6

Es war die Philosophie im ersten Sinne, die die kulturellen Synthesen an den Ursprüngen des westlichen Christentums antrieb, wobei allerdings mit der Zeit in den verschiedenen westlichen Theologien die Philosophie in ihrer zweiten und dritten Bedeutung ebenfalls wichtige Rollen annahm. Die Philosophie im vierten Sinne ist vereinbar mit der traditionellen Rolle der Philosophie in der christlichen Theologie (siehe weiter unten: der dritte Sinn von Theologie). Die Philosophie in ihrer fünften Bedeutung beschreibt ihre Verwendung bei den frühen christlichen Apologeten. Ihre sechste Bedeutung erlangt die Philosophie in ihrem Zusammengehen mit dem traditionellen christlichen Verständnis von Theologie.

Auch für den Begriff „Theologie” müssen mindestens sechs Bedeutungen unterschieden werden, wenn man die Veränderungen aufspüren will, die der Einfluß der Philosophie auf die westlichen Theologien (mitsamt ihren Ansichten über die Verknüpfung von Sünde, Leiden und Krankheit) bewirkte. Beginnen wir zunächst mit der christlichen Tradition, der Theologie also, die auch heute noch in der Orthodoxen Kirche gepflegt wird. Im Rahmen dieser Tradition nimmt „Theologie” vier Bedeutungen an.

1. Theologie als geistiges (noetisches) Erfahrungswissen. Die traditionelle christliche Theologie ist im Kern geistig-empirisch. Sie bildet eine Form des mystischen Wissens. Das christliche theologische Wissen ist sensu stricto nicht diskursiv-rational. Theologie in diesem Sinne ist vielmehr die Frucht eines im rechten Glauben verfolgten Bemühens, durch Gebet, Mildtätigkeit, Askese, Nachtwachen und Gottesdienst eine Beziehung zu Gott aufzubauen. Darum hat die christliche Theologie (wie auch ihre Bioethik) traditionell einen liturgischen Charakter. Durch die Gnade Gottes kann dieses Bemühen zu einer unmittelbaren Erkenntnis Gottes (d. h. Seiner ungeschaffenen Energien), und durch Gott überdies zu einer unmittelbaren, gleichsam intuitiven Erkenntnis der geschaffenen Wesen führen. Theologie in diesem Sinn beruht auf der Abwendung von sich selbst und der Hinwendung zu Gott. Diese Abwendung beginnt im Willen, – nicht in der diskursiven, rationalen Reflexion oder in der diskursiven, intellektuellen Kontemplation, sondern, genauer, in der Reue. Ihre Vollendung erfährt sie durch Gottes Hilfe. Diese Bedeutung von Theologie ist Theologie sensu stricto. Sie bildet den Geist der Kirche, der sich nicht verändert oder entwickelt, denn die Kirche ist der Leib Christi (Kol 1,24) im Heiligen Geist, und Christus ist Derselbe gestern, heute und ewig (Heb 8,4). Dabei geht es nicht nur um „religiöse Erfahrung” oder „christliche Erfahrung des Glaubens”, sondern um die Erfahrung Gottes (d. h. Seiner ungeschaffenen Energien) durch jene, die reinen Herzens sind (Mt 5,8).

2. Theologie als (mündlicher oder schriftlicher) Bericht über die durch Theologie im ersten Sinne seit der Zeit der Aposteln in ihrer Fülle (Heb 8,4)gemachten Erfahrungen. Die Kirche produziert keine Literatur, wenn sie das Evangelium schreibt, noch befaßt sie sich mit Philosophie, wenn sie Dogmen formuliert, sondern in beiden Fällen bringt sie die Fülle des darin verborgenen neuen Lebens zum Ausdruck.

3. Theologie als von Gebet erfüllte Lektüre solcher schriftlicher Berichte, wie diese in der Bibel und anderweitig zu finden sind (z. B. in der Liturgie)7. Diese Lektüre wird unternommen im Geist der Väter mit gnadenerfüllter Hilfe durch die Kirche und innerhalb der noetischen Rahmenbedingungen, die durch die Theologie im ersten Sinne gesetzt werden. Berichte über göttliche Offenbarungen werden mithin ganz so bedacht, wie man auch in rechter Gottesanbetung und rechtem Glauben eine Ikone betrachtet. Darum müssen solche Offenbarungs-Berichte (z. B. der Bibel) in rechter Gottesanbetung gelesen werden. Das wiederum hat zur Folge, daß „außerhalb der Kirche das Evangelium ein versiegeltes und unverständliches Buch ist. … Evangelium und Dogma sind Ausdruck desselben Geistes der Kirche. Aus diesem Grund kann das Evangelium nicht außerhalb der Kirche oder das Dogma nicht außerhalb des Gottesdienstes verstanden werden” (Vasileios 1984, S. 18). Die in der Vergangenheit gewährte Offenbarung wird im Vollzug einer solchen Lektüre vergegenwärtigt durch den Heiligen Geist, Der die Kirche durch alle Zeiten hindurch erhält. In diesem Sinne singt die Kirche beispielsweise am Sonntag, der dem Gedächtnis der Heiligen Väter der ersten sechs Ökumenischen Konzile gewidmet ist: „Jene Gott-ummantelten Väter haben heute gemeinsam verkündet…” (Nassar 1979, S. 558, Hervorhebung hinzugefügt). Darum ist biblische Theologie in ihrem Kern ebenfalls liturgische Theologie.

4. Theologie als diskursive Reflexion auf das, was durch die Theologie im strikten Sinne (ihrer ersten Bedeutung) an Gottes Selbst-Offenbarungen vorgegeben, anschließend (in ihrer zweiten Bedeutung) aufgezeichnet und weiterhin aufgenommen wurde in der richtig anbetenden Weise (Theologie im dritten Sinne). Das traditionelle Christentum, das lebendig und wohlauf im orthodoxen Christentum gepflegt wird, schäftigt sich also auch akademisch mit der Analyse und Auslegung theologischen Wissens. Die hierbei eingebrachte begriffliche Analyse ist jedoch nicht von irgendeiner philosophischen Position hinsichtlich der Erkenntnis oder der Beschaffenheit der Welt abhängig. Solche Analysen führen auch nicht zu irgendwelchem neuen Wissen, noch unterstützen sie irgendwelche Weiterentwicklungen in der Lehre. Was die Theologie im vierten Wortsinne vorträgt muß stets innerhalb der Grenzen dessen bleiben, was die Theologie im ersten Sinne vorgibt. Die so gewährte Entfaltung in der Deutlichkeit, oder im Ausdruck und der Formulierung von Dogmen, kann zum Beispiel bei der Widerlegung von Häresien von Nutzen sein.

Bei alledem bleibt also die orthodoxe Theologie insgesamt im Kern immer empirisch (d. h. Theologie im ersten Sinn). Sie hält die ununterbrochene geistige Erfahrung Gottes lebendig. Von daher wird deutlich, wie unsinnig es wäre, wollte man diese Theologie im Lichte philosophischer Argumente revidieren. Da theologische Erfahrung die Erfahrung der persönlichen liebenden Wahrheit Selbst ist, reichen philosophische Erwägungen nicht an sie heran. Ein solcher Versuch wäre ebenso unsinnig wie das Unternehmen, das in den Naturwissenschaften und der Medizin gesammelte (hier allerdings sinnliche) Erfahrungswissen aufgrund philosophischer Spekulationen zu verändern. Nur handelt bei der Theologie das noetische Erfahrungswissen nicht von Tatsachen über den Zustand der Dinge dieser Welt, sondern von den Personen der Heiligen Dreiheit und unserer Beziehung zu Ihnen. Der Begriff von Theologie, der sich aus diesen vier Bedeutungen ergibt, ist darum nicht „fideistischer” als die Wissenschaft der Biologie, die ja auch letztlich auf empirischen Ergebnissen ruht, und nicht auf philosophischen Argumenten.

Im Gegensatz zu alledem legt die Theologie der vorherrschenden Christentümer des Westens alles Gewicht, alle Kraft und Autorität auf die rationale diskursive Reflexion. Diese Theologien beziehen größtenteils die eine oder andere Variante oder Kombination von Theologie in folgenden beiden Bedeutungen ein.

5. Theologie als diskursive und spekulative philosophische Reflexion über Gott. Die westliche christliche Theologie nahm Gestalt an, indem sie ein Verständnis von Theologie als methodisch disziplinierter, diskursiver Reflexion über die Natur des Seins oder der Realität zugrundelegte. Hierdurch wollte sie die Existenz Gottes beweisen und Seine Natur, wie auch die der Beziehung zu, und Pflichten geschaffener Wesen gegenüber, ihrem Schöpfer aufzeigen. Theologie in diesem Sinn verwendet spekulative Philosophie und Metaphysik zur der Herausbildung jener speziellen Metaphysik, die dann „natürliche Theologie” genannt wurde und im westlichen Mittelalter zur vollen Ausprägung gelangte. Theologie in diesem Sinn wurde später verbunden mit, oder lieferte den Hintergrund zu, einer weiteren Spielart, die in der nach-metaphysischen Moderne zentral wurde für die westliche Theologie, und die ihre sechste Bedeutung ausfüllt.

6. Theologie als diskursives und spekulatives Nachdenken über die Bibel und (im Fall des römischen Katholizismus) über Tradition und dogmatische Aussagen, sowie auch über „religiöse Erfahrung” oder „die christliche religiöse Erfahrung”. Theologie in diesem Sinn beinhaltet die diskursive und kritische Analyse und systematische Einordnung religiöser Begriffe, Behauptungen, Argumente. Sie verwendet bestimmte Methoden, um religiöse Behauptungen wie auch das Erlebnis religiöser Erfahrung (und die Erfahrung selbst) zu untersuchen. Das Ziel ist die Vermehrung des religiösen und theologischen Wissens (d. h. es weiterzuentwickeln). Theologie in diesem Sinn ist gleichbedeutend mit Philosophie der Religion, mit der (allerdings wesentlichen) Einschränkung, dass hierbei die Wahrheit einer bestimmten geoffenbarten Religion und die Erfahrung dieser Religion als gegebene Grundlage oder Leitprinzip angenommen wird. Es werden jedoch nicht nur die Implikationen dieser bestimmten Offenbarung dargestellt, sondern die Offenbarung selbst wird ergänzt durch ihr philosophisches Verständnis. Auch für diese Art der Theologie wird also der Anspruch aufgestellt, es lasse die Breite und Tiefe der theologischen Vorgaben wachsen und das Dogma sich weiterentwickeln.8

Charakteristisch für Theologie im Sinne dieser letzten beiden Bedeutungen sind: (a) die führende Rolle diskursiver Rationalität, (b) die Ansicht, daß die Bibel (oder im Fall des römischen Katholizismus, die Bibel, ergänzt durch „Tradition” und dogmatischen Aussagen) zusammen mit „religiöser Erfahrung” das Rohmaterial liefern für ihre diskursiv reflektierende theologische Bearbeitung, (c) die Ansicht daß dies alles ohne anhaltende, durch asketische Hinwendung erbetene und noetisch gewonnene Erfahrung, d.h. ohne eine wirkliche Verbindung zur theologischen Wahrheit (d. h. zu den Personen der Dreiheit) geleistet werden kann, mit dem Ergebnis, daß (d) die Theologie als akademische Disziplin (und insofern anderen akademischen Disziplinen gleichgeordnet) durch kritische Reflektion und Analyse in ihrem Inhalt und ihren Forschungsbereichen wachsen kann, wobei es als selbstverständlich angenommen wird, daß sich somit auch die Grundsätze, die diese Theologie vertritt, entwickeln und verändern können.9

Diese sechs Bedeutungen von Theologie gruppieren sich mithin unter zwei sehr unterschiedliche Weisen, in denen man die Praxis des Theologisierens, und damit (unter anderem) auch die Natur einer christlichen Bioethik, verstehen kann. Für die Bioethik ergeben sich daraus zwei deutlich verschiedene Herangehensweisen an den Zusammenhang zwischen Sünde, Leiden, Krankheit und Tod. Die Theologie, die sich aus den der ersten vier Bedeutungen zusammenfügt, beruht auf einer wirklichen persönlichen Beziehung zur, und auf einer wirklichen Erfahrung der Heiligen Dreiheit. Entsprechend liegt auch das Ziel ihrer eventuellen akademischen Systematisierung nicht selbst schon in der Formulierung eines theologischen oder moralischen Wissens, das als ein Drittes zwischen Gott und Mensch treten könnte. Vielmehr stellt dieses Wissen für seine Rezipienten nur einen ersten Zugang dar, der ihnen den weiteren Weg zu einem dann durchaus unmittelbaren, durch die Gnade Gottes eröffneten, persönlichen Zugang zum persönlichen Gott weisen soll. Theologie im Sinn der fünften und sechsten Bedeutung hingegen zielt zentral auf die Herausarbeitung einer intellektuellen Disziplin, aus der ein Wissenskorpus hervorgeht, das bereits in seiner Eigenschaft als akademisches Wissen für die Möglichkeit einer Beziehung zu Gott, ebenso wie für eine Moraltheorie, die das richtige Verhalten in der Welt regelt, sowohl notwendig sein als auch hinreichen soll. Hierbei soll also die persönliche Gottesbeziehung durch akademisch-theologisches Wissen, und das richtige Verhalten (der Inhalt der Moral, zu der dann auch die Bioethik gehört) durch diskursive rationale Reflektion gesichert werden. Die Theologie des traditionellen Christentums – jenes Christentums, das in der Kirche der Orthodoxen lebendig ist – umfaßt die ersten vier Bedeutungen. Die Theologie des westlichen Christentums befaßt sich mit Theologie im Sinne ihrer fünften und sechsten Bedeutung.

 

III. Der Logos und die Bioethik: Der transzendente Gott im Gegenüber zur philosophischen Rationalität

Der Gegensatz zwischen der Traditions-gebundenen und den Entwicklungs-offenen Theologien des Westens wirkt sich auch auf die Unterschiede zwischen traditioneller und post-tradioneller christlicher Bioethik aus. Auch die letztere ist geprägt durch die einseitige Betonung diskursiver Rationalität, die auf eine Verankerung im noetischen Wissen verzichtet. Dieser Gegensatz zwischen (auf der einen Seite) der diskursiven philosophischen Reflexion (d. h. der Philosophie in ihrer 1., 2. und 3. Bedeutung), in ihrem Zusammengehen mit Theologie in ihrer 5. und 6. Bedeutung, und (auf der anderen Seite.) der Philosophie in ihrer vierten Bedeutung in ihrem Zusammenstimmen mit der Theologie in ihren ersten vier Bedeutungen wird besonders deutlich an der Weise, in der uns die Väter der Kirche, gemeinsam mit dem Heiligen Paulus (vgl. 1 Kor 19-20), immer wieder vor der (weltlichen) Philosophie warnen. Wie der Heilige Johannes Chrysostomos erkannte, ist es diese Philosophie (im Sinne ihrer ersten drei Bedeutungen, d.h. wo sie einen eigenen Wahrheits- und Erkenntnisanspruch verfolgt), die im Christentum zu neuen Lehren, zu Häresien verführt. „Die Häretiker sollten lieber auf die Stimme des (Heiligen) Geistes hören, denn dies ist die wahre Natur vernünftigen Nachdenkens. … Da sie sich scheuen, dem Glauben zu folgen, und in Unkenntnis der himmlischen Dinge zu sein scheinen, verstricken sie sich in die Staubwolke unzähliger Überlegungen” (Chrysostomos, Homilie II über Römer I.8, II.17, S. 349-350). „Weshalb auch jene, die das vernünftige Nachdenken sich zum Ziel setzen, eben die sind, die zugrundegehen” (Chrysostomos 1994, Homilie IV über 1 Kor 1,18-20, IV.2, Bd. 12, S. 16). Hier wird die Philosophie in ihren ersten drei Bedeutungen als ein die Theologie grundlegend verzerrendese Medium erkannt.10

Der Kontrast zwischen traditioneller und Entwicklungs-offener westlicher Theologie läßt sich auch anhand gegensätzlicher Einschätzungen der Bedeutung von „Logos” zu Beginn des Johannes-Evangeliums darlegen. Die orthodoxe Theologie hält mit der Kirche des ersten halben Jahrtausends an der Erkenntnis fest, dass Logos hier nicht die diskursive Rationalität bedeutet, sondern stattdessen das persönliche Wort oder den Namen Gottes bezeichnet. Obwohl der Begriff logiken (in Röm.12,1 „logiken latreian”) oft irreführend als „vernünftig” übersetzt wird (die Phrase mithin als „rationaler Gottesdienst”), bedeutet er richtiger „geistig-geistlich”, „vergeistigt” oder „unstofflich”. Wie Casimir Kucharek feststellte: „In der frühchristlichen Epoche erscheinen die griechischen Begriffe Logos und pneuma beide mit der Bedeutung ‘Geist’. Diese ‘Geist-Wort’-Terminologie, offenbar bezogen auf die ‘Geist-Gegenwart-Gottes’ ist für den modernen Leser verwirrend. Beide sind vermutlich bezogen auf die jüdische Auffassung über die Heiligkeit und Kraft des Namens Gottes. Im christlichen Gebrauch sind beide begründet in der tatsächlichen Gegenwart des himmlischen Christus als lebendigmachender Geist (vgl. 1 Kor 15,45)” (Kucharek 1971, S. 616). Kucharek faßt das Wesentliche so zusammen: „Im johannitischen und kirchenväterlichen Gebrauch wird das griechische logiken (aus Röm. 12,1, Anm. des Übersetzers) in der Tat bezogen auf logos, ‘Wort’, d. h. das Wort Gottes, die Zweite Person der Dreiheit. Wenn Klemens von Alexandria in einer seiner Hymnen das entsprechende Adjektiv verwendet, um die Schafe [d. h. die Christen] zu charakterisieren, dann meint er nicht ‘vernünftige’ oder ‘logische’ Schafe, sondern Schafe des Logos, des Guten Hirten” (Kucharek 1971, S. 614).

Was auch immer man unter der Vernunft Gottes verstehen möge, der Vernunft eines wahrhaft transzendenten Gottes, eines Gottes, der jenseits aller diskursiven Kategorien ist, – es kann sich nicht um die diskursive philosophische Rationalität akademischer Forschungs- und Lehranstalten handeln. Das traditionelle Christentum weiß, daß Gott alle diskursive Reflexion übersteigt. Darum weiß es auch, dass die Vernunft Gottes nicht analog ist zur Vernunft der Menschen. Der Mensch (samt seiner Vernunft) ist nicht das Maß der Vernunft Gottes. Theologie im Sinne der ersten drei Bedeutungen des Wortes reflektiert den Logos, das Wort Gottes. Diese Theologie findet sich auch geoffenbart im logos des Kreuzes (1 Kor 1,18). Sie ist – wie der Heilige Paulus betont – nicht zu verwechseln mit der Weisheit der Welt, der Weisheit der säkularen Philosophie (1 Kor 1,21). Die Offenbarung zu Beginn des Evangeliums des Hl. Johannes – das Wort war Gott (Jh 1,1) – erlaubt es nicht, die (menschlich) philosophische Rationalität ins Zentrum der christlichen Theologie zu stellen. Und dennoch, es war der Versuch einer Synthese des Glaubens mit dem menschlichen Verstand und der menschlichen Vernunft, einer Synthese des Glaubens mit der philosophischen Rationalität (bezogen auf Philosophie im Sinn ihrer ersten drei Bedeutungen), der im Lauf der Zeit die westliche christliche Kultur verwandelte, bis sie sich nach dem Bild und der Ähnlichkeit rein weltlicher Vorgehensweisen und endlich auch zum Ethos (auch in der Bioethik) der Moderne formte.11

Das traditionelle christliche Verständnis der Kompetenz diskursiver philosophischer Rationalität, ein Verständnis, das sich fundamental vom Glauben an die diskursive Rationalität im westlichen Christentum unterscheidet, spiegelt sich im Kommentar des Heiligen Johannes Chrysostomos über das erste Kapitel des Johannes-Evangeliums:

„Die Seele des Menschen ist einfach nicht in der Lage, über jene reine und gesegnete Natur zu philosophieren; über die Mächte, die ihr nahe sind; über Unsterblichkeit und das ewige Leben; über die Natur der sterblichen Körper, die danach unsterblich werden; über Bestrafung und das kommende Gericht; über die kommende Aufdeckung der Taten und Worte, der Gedanken und Vorstellungen. Sie kann nicht sagen, was der Mensch, was die Welt ist; … was die Natur der Tugend ist, was die des Laster. <3> Nach einigen dieser Dinge haben tatsächlich die Schüler des Plato und Pythagoros geforscht. Von den anderen Philosophen müssen wir ohnehin keine erwähnen; sie waren alle an diesem Punkt höchst lächerlich; … und sie haben etwas zusammengestellt und geschrieben über Politik und Lehren, und in allem waren sie von beschämenderer Lächerlichkeit als Kinder” (Chrysostomos, 1994, Homilie 2.2-3 über Johannes 1.1, Bd. 14, S. 5).

Der Hl. Johannes Chrysostomos betont den Unterschied zwischen dem sicheren Charakter des noetischen Erfahrungs-Wissens und jenem, dass durch philosophische diskursive Rationalität gewonnen wird: „… dieser Fischer [Johannes, anders als die heidnischen Philosophen]; alles, was er sagt, ist unfehlbar; und da er sozusagen auf einem Felsen steht, verändert er nie seine Grundlagen. Denn da er gewürdigt wurde zu den geheimsten Orten zu gelangen, und da der Allherrscher in seinem Inneren spricht, ist er nichts Menschlichem unterworfen. Sie aber [die heidnischen Philosophen] sind wie Menschen, die nicht für würdig befunden wurden, auch nur im Traum ihren Fuß in den Palast des Königs zu setzen und die statt dessen ihre Zeit auf dem Marktplatz mit anderen Menschen verbringen. Indem sie mittels ihrer Einbildungskraft versuchen zu erraten, was sie nicht sehen, geraten sie in große Irrtümer und stoßen wie Blinde oder Betrunkene gegeneinander auf ihren Irrwegen. Und nicht nur gegeneinander stoßen sie, sondern auch gegen sich selbst, denn sie verändern dauernd ihre Meinung, stets über dieselben Dinge” (Chrysostomos, Homilie 2.3 über Johannes 1.1, Bd. 14, S. 5).

Fernerhin erkennt der Heilige Johannes Chrysostomos, dass den Kern der christlichen Theologie ein Wissen bildet, das völlig verschieden ist von dem der diskursiven Rationalität, nämlich ein geistiges (noetisches) Wissen. Daher lautet der Inbegriff der orthodoxen Theologie: „Wenn du ein Theologe bist, betest du wahrhaft. Und wenn du wahrhaft betest, bist du ein Theologe” (Evagrios 1,62). Auch die frühen Kirchenväter waren sich dessen bewusst, dass jede weltliche philosophische Reflexion von anfänglich zugestandenen, grundlegenden Prämissen und von der Festlegung bestimmter Regeln der Beweisführung abhängt. Sie wussten somit ferner, dass die diskursive Rationalität, rein für sich und ohne geistige (noetische) Führung, solche Zugeständnisse oder Festlegungen nicht ihrerseits wieder vernünftig begründen kann. Damit bleibt die Auswahl der je zugrundegelegten Prämissen und angewandten Beweisregeln letztlich beliebig. Ein diskursiv philosophisches System ist mithin so „gültig” wie jedes andere. Darum, so schlossen bereits die Väter der Kirche, bleiben die so gewonnenen philosophischen Positionen stets unterschiedlich, veränderlich und unzuverlässig.12

An dieser Stelle ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die philosophische Konstruktion des Sohnes als Logos, wie sie von Benedikt XVI. auch heute noch vertreten wird, völlig dem Geist der alten Kirche zuwiderläuft. Diese Konstruktion misdeutet zutiefst den Charakter der theologischen Begegnung mit dem lebendigen, transzendenten Gott. Die Begegnung mit der göttlichen Person wird durch die Begegnung mit einem Prinzip ersetzt. Benedikt XVI. sucht die Theologie in der säkularen Rationalität zu verankern. Er ist der Meinung, dass man zum Opfer häretischer Anschauungen wird, die zu zwanghaften und Zwang-rechtfertigenden Glaubensformen führen können, aus denen überdies unangebrachte Religionskriege entstehen, wenn man nicht bereit ist, die Theologie in diskursiver, philosophischer Rationalität zu gründen.13 Ungeachtet Benedikt XVI’s Überzeugungen ist es jedoch durchaus nicht der Fall, dass nur ein Rückgriff auf das Rationale solche mißgeleiteten häretischen Leidenschaften und die verkehrten Zielsetzungen, die sie begünstigen, vermeiden kann. Man muss nur den wahren Gott auf richtige Weise erkennen. Nicht die philosophische Reflexion führt die Theologie zum rechten Glauben, sondern die Erfahrung, d.h. die Erfahrung des wahren Gottes Selbst, Der den Inhalt und Anker des rechten Glaubens bildet. Es bleibt bedenkenswert, dass gerade zu der Zeit, als das westliche Christentum sich mit letzter Entschiedenheit daran machte, seine Theologie in diskursiver Rationalität zu gründen, dieses Christentum seinerseits den religiösen Zwang zu heiligen begann, wie etwa die Inquisition (z. B. erließ Papst Innozenz IV. im Jahre 1252, zur Hoch-Zeit der Scholastik, die Bulle Ad extirpanda, die der Inquisition die Vollmacht zur strafrechtlichen Verfolgung von Häretikern gab).

Aus alledem wird deutlich, dass das traditionelle Christentum, das orthodoxe Christentum, auf einem dem westlichen gegenüber völlig anderen theologischen Selbstverständnis beruht. Dieser Unterschied betrifft zunächst einmal (erstens) die erkenntnistheoretischen Grundlagen: Das traditionelle (d. h. orthodoxe) Christentum weiß Gott als für das menschliche Erkenntnisstreben radikal transzendent, – es gibt keine analogia entis [Wesensähnlichkeit zwischen der göttlichen und der menschlichen Vernunft], mit deren Hilfe die Kluft zwischen Geschaffenem und dem Ungeschaffenem überbrückt werden könnte. Darum wird hier ausschließlich die geistige (noetische) Erfahrung Gottes (z. B. der Tatsache, dass Gott sich als Vater offenbart) zugrundegelegt. Beim Reden über Gottes Natur verfolgt die Kirche darum einen apophatischen Ansatz. Im Gegensatz dazu macht der Westen – da er eine solche analogia entis akzeptiert – die vom menschlichen Verstand angestellten Überlegungen über das Sein zum Maßstab des Seins Gottes. Auf diese Weise deutet das westliche Christentum die Natur Gottes stets so, dass sie zu den jeweils sich wandelnden philosophischen Vorstellungen einer Epoche passt. Sie tut dies, weil das philosophisch diskursive Vorgehen unweigerlich die menschliche Rationalität zum Maßstab des über Gottes Wesen Erkennbare macht.

Im weitern beruht dieser Gegensatz zwischen traditioneller und westlicher Theologie (zweitens) auf je zugrundeliegenden metaphysischen Annahmen. Das traditionelle Christentum erkennt den Abgrund an, der zwischen Geschaffenem und Ungeschaffenem liegt. Für die Erkenntnislehre der traditionellen Theologie bedeutet dies, dass theologisches Wissen im strikten Sinn durch die den Menschen verwandelnden ungeschaffenen Energien Gottes hervorgebracht wird. Für ein solches Wissen muss sich der Mensch durch ein Leben im Gebet, in Askese, Mildtätigkeit, Nachtwachen und rechter Gottesanbetung öffnen. Es ist mithin eine liturgische und asketische Theologie, durch die man zur Begegnung mit der Person Gottes gelangt, dem Grund alles theologischen Wissens, Dem man vertrauen kann, und Der das angemessene Gegenüber des Glaubens darstellt.

Daher unterscheidet sich auch (drittens) die Soziologie der traditionellen orthodoxen Theologie von der im Westen entstandenen. Theologie im strikten Sinne ist nicht an die Universität gebunden. In der Tat sind viele der traditionellen Theologen heutzutage wie im ersten Jahrtausend eher in Klöstern als in akademischen Kreisen zu finden. Das liegt daran, dass es im Kloster oftmals leichter ist, sich dem liturgisch-asketischen Training und Kampf (cf. 2 Tim 4,7) zu widmen, mit dessen Hilfe man sein Herz von den Leidenschaften reinigen kann, um endlich Gott zu begegnen. Einige der größten orthodoxen Theologen des 20. Jahrhunderts haben niemals eine höhere Bildung genossen. Man könnte hier an den Heiligen Johannes von San Franzisko denken (1894-1966), an Altvater Joseph den Hesychasten (1895-1959), Altvater Paisios von Rumänien (gest. 1993), Altvater Paisios vom Berg Athos (1924-1994), Altvater Porphyrios (1906-1991) und den hl. Siluan den Athoniten (1866-1938). Um Theologe im engen Sinne zu sein, muss man heilig, d.h. durch die ungeschaffenen Energien Gottes verwandelt worden sein. Eine akademische Qualifikation ist nicht nötig.

 

IV. Zusammenfassung und Schlußfolgerung: Der Zusammenhang zwischen Theologie, Bioethik und einer recht verstandenen Beziehung von Sünde mit Krankheit und Tod

Dieser Abgrund, der das traditionelle vom post-traditionellen Christentum trennt, hat bedeutsame Auswirkungen auf alle Bereiche des Lebens, und insbesondere für das Verständnis der Verbindung zwischen Sünde, Krankheit und Tod.

1. Der Unterschied zwischen dem einen traditionellem und den vielen post-traditionellen Christentümern beruht auf disparaten Ansichten über das Christentum selbst, die christliche Theologie, die Moral und die Bioethik. Traditionelle Christen wissen, dass alle Menschen zuerst und vor allem dazu berufen sind, ihre Sünden zu bereuen und getauft zu werden, um somit in die Kirche einzutreten, die der Leib Christi in der Welt ist. Damit wird jeder Versuch, außerhalb dieser Berufung eine Theorie der Moralität und der Bioethik aufzustellen, als tiefgreifend irreführend erkennbar. Umgekehrt muss jeder Versuch post-traditioneller Christen, moralische Normen und eine Bioethik ohne Bezug auf die Anerkennung Gottes und die Erkenntnis Jesu Christi als Israels Messias und Sohn Gottes zu konstruieren auf eine Vorstellung „richtigen Handelns” hinauslaufen, die für die Bedeutung der menschlichen Geschichte und des menschlichen Lebens, nämlich die Rettung durch Christus, blind bleibt. Das traditionelle Christentum weiß, dass es bei Gott keine Unzulänglichkeit gibt (z.B. in der Offenbarung Seiner Wahrheit an die Apostel und an Seine Kirche): Gott kann das Christentum, das Er ein für allemal Seinen Aposteln übergeben hat, unverwandelt und unversehrt bewahren, Er hat es so bewahrt, und Er erhält es weiterhin durch die Väter der Kirche, die von Anfang an bis zum heutigen Tage Seine Wahrheit bezeugen. Daher anerkennen traditionelle (d.h. orthodoxe) Christen, dass nur die Eine, Heilige, Allumfassende (d.h. katholische) und Apostolische Kirche alles für die Bioethik Erforderliche kennt und lehrt, und dass die hierfür relevanten Ordnungen – wie zum Beispiel das Verbot der Abtreibung, Euthanasie und homosexueller Handlungen – für immer unverändert bleiben. Wie oben bereits festgestellt, verwende ich in diesem Artikel den Begriff „traditionelles Christentum” nicht nur für das Christentum der ersten Hälfte des ersten Jahrtausends. Ich verwende ihn insbesondere für das orthodoxe Christentum, das sich auch im 21. Jahrhundert lebendig und wohlauf befindet. Darüber hinaus nehme ich auch ernst, dass die (sogenannten) „fundamentalistischen” Protestanten sich der Bewahrung der Kirche der ersten Jahrhunderte verpflichtet fühlen. Auch sie gehören somit, wenn auch nur implizit und unklar, zum traditionellen Christentum dazu. Sie stehen, gemeinsam mit der orthodoxen Kirche, gegen die verschiedenen modernistischen Christentümer, die allesamt nicht ablassen, das Christentum, seine Theologie und seine Moral samt Bioethik, nach dem Bild und der Ähnlichkeit der zeitgenössischer säkularer Philosophien und moraltheoretischer Ansätze umzuarbeiten.

2. Die Forderungen der Moral sollten nicht als ein Drittes verstanden werden, das der Notwendigkeit von Reue und dem Streben nach Rettung gegenübersteht oder gar einen Widerspruch dazu bildet. Es gibt dieses „Dritte” nicht, diese „Moral mit ihrer dazugehörigen Bioethik”, als etwas, das dem einzig Notwendigen hinzukommen könnte, nämlich, sich Gott von ganzem Herzen zuzuwenden. Insbesondere gibt es kein Drittes, das als [losgelöste] Moral die christliche Theologie und das christliche Leben kritisch revidieren könnte. Die Ordnung des rechten menschlichen Verhaltens, einschließlich der Entscheidung bioethischer Konflikte, läßt sich vollständig und angemessen nur innerhalb der rechten Gottesanbetung und des rechten Glaubens darlegen. So verweist Paulus im Römerbrief, wo er davon spricht wie jene Menschen, die weder Juden noch Christen sind, Gottes Gesetz im Herzen tragen (Röm. 2, 14-15) 14, in erster Linie auf die dieses Gesetz verzerrenden Folgen eines falsch ausgerichteten Gottesdienstes (Röm 1,18-32). Der rechte Maßstab für alles menschliche Handeln besteht darin, dass alle Menschen sich bemühen sollen, in vollkommener Weise den Willen Gottes zu erfüllen. Folglich läßt sich auch das Wesen aller Unmoral, alles ungehörigen Verhaltens, und dazu gehört auch alles Fehlverhalten (sowohl im Handeln als auch im Unterlassen) im Bereich der Bioethik, allein und vollständig als Abweichung von einer vollkommenen Ausrichtung des Menschen auf Gott hin verstehen, mithin als „Sünde”. Aus diesem Grund erkennt bereits der Psalmist David seine Verstrickung in Mord und Ehebruch vor allem als eine gegen Gott selbst gerichtete Tat. Dir allein habe ich gesündigt und das Böse vor Deinen Augen getan (Ps 50,4 LXX). Unmoral kann nur dann in ihrem Vollsinn verstanden werden, wenn man sie als Sündhaftigkeit begreift. Daher ist Sünde in der Tat die primäre moralische Kategorie.

3. Den Kern des christlichen Lebens bildet das Ritual. Es offenbart seinerseits eine kardinale Dimension (genauer, die liturgische Dimension) des Wesens und Inhalts der Moral. Das Bemühen um ein moralisch integres und gedeihliches Leben ist – angesichts der menschlichen Schwäche – in angemessener Weise nur im Rahmen des Mühens um Reue möglich. Eine Bestandaufnahme dessen, was innerhalb einer angemessenen Bioethik als pflichtmäßig oder verboten zu gelten hat, lässt sich am vollständigsten im Hinblick auf jene Handlungen oder Unterlassungen gewinnen, die Menschen bereuen müssen, wenn sie sich auf die Taufe, oder dann auch auf die Eucharistie, vorbereiten. Damit wird die liturgisch verstandene rituelle Reinheit, und das heißt, die Reue, die erforderlich ist, um sich der Eucharistie würdig zu nahen, zum Inbegriff dessen, wozu sich Menschen hinwenden und wovon sie sich fernhalten müssen. Dieses christliche Ritual (d. h. die Eucharistie) stellt die Summe dessen dar, was es bedeutet, richtig im Universum orientiert zu sein. Der würdige Empfang der Eucharistie macht deutlich, was es bedeutet, sich in richtiger Weise Gott zuzuwenden. Diese beiden Rituale (die Taufe und die Eucharistie) haben somit selbst eine kosmisch orientierende Bedeutung. Sie erfordern als Vorbereitung Reue und erhellen somit in zentraler Weise, was Christen, und durch Christen alle Menschen, tun und lassen sollen.

Die Begriffe Ritual und rituelle Reinheit sollten uns nicht abschrecken: Menschen sind geborene Symbol-Anwender. Sie sündigen, bereuen, und erlangen Vergebung als verkörperte, und aufgrund dieser Körperlichkeit in einem Zusammenhang, der durch Symbole bestimmt ist. Christliche Rituale sind symbolisch bedeutsame, verkörperte, metaphysisch wirksame Handlungen. Sie sind den Menschen als geborenen Symbol-Anwendern genau angemessen. Aus diesem Grunde verwende ich auch den ein wenig provokativen Begriff der christlichen rituellen Reinheit als ein Hilfsmittel, wodurch sich Christen das Wesen der Moral in seiner ganzen Fülle erschließt. Zusammengefasst, es erinnert uns der Ausdruck „rituelle Reinheit” daran, dass (a) Unmoral einseitig und unvollständig verstanden wird, solange sie nicht als Sündhaftigkeit erkannt wird; (b) dass jede Reaktion auf unmoralisches Handeln einseitig und unvollständig bleibt, solange sie den Handelnden nicht zur Reue führt; (c) dass Reue einseitig und unvollständig bleibt, wenn sie nicht zur Taufe führt (Bereut und lasst euch taufen, jeder von euch, Apg 2,38), und solange nach der Taufe die Sünden nicht in die Beichte gebracht werden (Wenn ihr einem die Sünden vergebt, so sind sie vergeben, Jh 20,23), mit der Folge, dass man würdig an der Eucharistie teilnehmen kann (1 Kor 11,27-30) und Teilhaber am ewigen Leben mit Christus wird; und dass (d) die Antwort der Kirche als Leib Christi in der Welt auf die inkarnierten Wesen, deren Leben sich im Rahmen von Symbolen bewegt, auf metaphysisch wirksamen Rituale (z. B. der Taufe und Eucharistie) beruht.

4. Leiden, Krankheit und Tod können letztlich nur in bezug auf die Sünde verstanden werden: Die Sünde kam in die Welt (Gen 3,18-20), weil Adam seine Berufung verfehlte, seine Heiligkeit (die Vergöttlichung) nach der Anweisung Gottes zu erstreben. Durch die Sünde kamen Leiden, Krankheit und der Tod (Röm 5,12). Christus hat die Sünde besiegt; an Seinem Erlösungswerk haben wir Anteil durch die metaphysisch verwandelnden Rituale der Taufe und der Eucharistie. Als mit der Sünde verknüpft werden darum auch Krankheit, Gebrechen und Tod letztendlich durch die Erlösung geheilt. Die säkulare Welt muss zur Reue bekehrt, ihre Mitglieder müssen getauft werden, nur so lassen sich endlich auch die Folgen der Sünde beheben: die Krankheit und der Tod. Auch für die Bioethik, die in diesem Leben mit Krankheit, Gebrechen, Leiden und Tod in richtiger Weise umzugehen lehrt, bleibt somit die entscheidende, den Bioethiker selbst ebenso wie Ärzte, Pfleger, Kranke und ihre Angehörigen verwandelnde, und bei alledem maßgebliche Perspektive jene der Kirche, denn sie vertritt die Perspektive Christi.

Alles Bemühen, angesichts der Verletzlichkeit und Endlichkeit des menschlichen Daseins Abhilfe zu schaffen, solange dieses Bemühen nicht eine aus ganzem Herzen verfolgte Hinwendung zu Gott in den Mittelpunkt stellt, verfehlt das Ziel des menschlichen Lebens. Man kann den Sinn dieses Lebens, die Bedingungen für menschliches Gedeihen oder auch die Bioethik nicht angemessen verstehen, solange man sie für sich betrachtet, abtrennt vom Platz des Menschen im Universum, vom Dasein Gottes und von der Tatsache, dass Jesus Christus der Messias und Sohn Gottes ist. Nur durch Christus wird der Sünde Sold, der in Leiden, Krankheiten, Gebrechen und im Tod besteht (Röm 6,28), letztlich überwunden. Alle theologische Ethik gründet in der durch Gnade verwandelnden Lebensweise des Christentums.

Diese Tatsache können auch heute noch all jene nicht begreifen, die als einzige Alternative zu dem von ihnen vertretenen rationalen, diskursiven Zugang zur Theologie (der heute hauptsächlich im Sinne der sechsten Bedeutung von Theologie verstanden wird, hierbei ergänzt durch Philosophie im zweiten Sinne) – den Fideismus annehmen. Hierunter verstehen sie ein blindes Festhalten an überkommenen Glaubenssätzen und einer lediglich formelhaft verstandenen Tradition (so z.B. Müller, 2007, in seiner Kritik an meinem Verständnis von Bioethik). Die meisten Vertreter der im Westen vorherrschenden Christentümer haben das Wissen um die Grundlage der Theologie in der noetischen Erfahrung, d.h. in der von Gott selbst in Seinen Heiligen gewirkten verwandelnden und erleuchtenden Gnade, verloren. Es ist aber allein diese Grundlage, die Christen durch die Jahrhunderte hindurch und in aller Welt auch heute noch im wahren Glauben vereint. Wer sich von dieser Grundlage entfernt, dem bleibt in der Tat nichts anderes übrig, als den Mißklang der herrschenden Pluralität christlicher Glaubensrichtungen zur Norm zu machen. Er kann diese Pluralität nicht mehr als ein Zeichen vielfältiger Weisen deuten, wie Christen sich vom Glauben, der den Aposteln anvertraut wurde, abgewandt haben. Nur wer diesen wahren Sachverhalt verkennt und wer die Integrität jenes apostolischen Glaubens verloren hat, setzt darum auch seine Hoffnung auf „ökumenische” Gespräche, die einen diese Pluralität in inhaltsarmer Weise „harmonisch” umgreifenden Konsens anstreben. Wenn im ersten Abschnitt dieses Aufsatzes ein sinnvollerer Weg zu einer wahrhaft umfassenden christlichen Ökumene in Aussicht genommen wurde, so liegt dieser Weg, wie nun deutlich geworden ist, allein in der allen Christen, im Osten wie im Westen, gemeinsamen Rückbesinnung auf die Tradition der Alten und in der Orthodoxie lebendigen Kirche.

 

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1 Papst Leo III. krönte Karl den Großen bei der dritten Messe am Weihnachtstag des Jahres 800. Dies setzte Kräfte in Gang, die durch zahlreiche kirchliche Entscheidungen und theologische Entwicklungen zur vollen Entfaltung des Römischen Katholizismus als einer vom orthodoxen Christentum, das bis dahin das östliche und das westliche Europa vereint hatte, getrennten und ihm entgegengesetzten Religion führte. In dem neuen westlichen Imperium kam es durch neue Haltungen gegenüber der Theologie und der Stellung der Philosophie in der Theologie allmählich zu einer Umarbeitung der westlichen Sicht auf das Christentum. Wenn man ein Ereignis auswählen müßte, das den Beginn der theologischen Reise des Westens zum separaten Römischen Katholizismus bezeichnet, so käme hierfür die Krönung Karls des Großen zuvörderst in Betracht. Allerdings muß man einschränkend bemerken, daß die Römische Kirche erst später aus der Kommunion mit dem ursprünglichen Christentum des ersten Jahrtausends ausgeschlossen wurde und sich selbst ausschloß, also zu einem Zeitpunkt, als die Unterschiede zum ursprünglichen Christentum unübersehbar und teifgreifend geworden waren. Wie es James Bryce ausdrückt: „Die Krönung Karls ist nicht nur das zentrale Ereignis des Mittelalters, es ist auch eines der sehr wenigen Ereignisse, von denen man für sich genommen sagen kann, daß, hätten sie nicht stattgefunden, die Geschichte der Welt anders verlaufen wäre” (Bryce 1959, S. 41).

2 Der Römische Katholizismus hat die Frage eines Kanons für das Alte und Neue Testaments auf synodaler Ebene für das gesamte römische Christentum zum ersten Mal in der sogenannten Unionsbulle mit den Kopten behandelt (Sitzung 11, 4. Februar 1442, auf dem Konzil von Basel-Ferrera-Florenz-Rom). Eine volle, offizielle Aufstellung wurde ersst auf dem Konzil von Trient erstellt (Sitzung 4 am 8. April 1546, Erstes Dekret).

3 Die Verurteilung von Abtreibung und homosexuellen Handlungen geht zurück auf den Beginn des Christentums. So heißt es beispielsweise in der Didache: „Du sollst keine Sodomie begehen… Du sollst keine Abtreibungen herbeiführen” (Didache, II 2, Bd. 1, S. 311f). Zahlreiche Verurteilungen der Sündhaftigkeit homosexueller Handlungen finden sich sowohl in der Heiligen Schrift als auch der kirchlichen Tradition. (Für eine Zusammenfassung der traditionellen christlichen Sicht siehe Engelhardt 2000, S. 245-247, 294-295.) Die Verurteilung der Abtreibung durch die frühe Kirche ist ebenfalls vielfach belegt und eindeutig. (Zur Diskussion siehe Engelhardt 2000, S. 275-281, 303-306.) Doch unter dem Einfluß philosophischer Überlegungen begann die westliche Christenheit, sich vom Geist der frühen Kirche zu entfernen. So unterscheidet z. B. unterscheidet Thomas von Aquin, beeinflußt von der aristotelischen Philosophie, bei der Abtreibung zwischen der moralischen Verwerflichkeit früher und später Abtreibungen. Nur die letzteren hatten für ihn die Bedeutung eines Mordes. (Siehe Thomas Aquinas, Summa Theologica II, II, 64, Art. 8. Siehe auch Aristoteles Stagiritae: Politicorum seu de Rebus Civilibus, Buch VII, Lektion XII.)

3b Die Zukunfts-Orientierung dieser durchaus nicht „vergangenen” Stufe des Christentums läßt sich nicht nur an ihrer sehr viel konsequenteren eschatologischen Ausrichtung, sondern sogar an der Tatsache ablesen, daß fundamentalistische (d.h. den Grundlagen treue) Traditionalisten sich sowohl in ihrer geistlichen Präsenz als auch biologisch hervorragend „reproduzieren” (Longman 2004a und Ratzinger 2006, S. 119).

4 Die frühmittelalterliche Charakterisierung der Philosophie als Magd der Theologie (ancilla theologiae) war als Warnung gegen die Gefahren der Philosophie gemeint. Der Begriff „Magd” sollte sicherstellen, daß die Philosophie in der Theologie keine inhaltlich entscheidende Rolle übernehmen würde (siehe z. B. Copleston 1962, Bd. 2, Mediaeval Philosophy, Teil 1, S. 167).

5 Geistiges (noetisches) Wissen bedeutet ein nicht über Sinneswahrnehmungen gewonnenes empirisches Wissen, das man als christliches mystisches Wissen bezeichnen könnte. Noesis ist nicht nur ein griechischer philosophischer Begriff, sondern stellt in seiner christlichen Verwendung die wesentliche Form des Wissens dar, ein Wissen, das den orthodoxen christlichen Theologen vertraut ist. So umfaßt auch der griechische Begriff nous (der von den Vätern für das höchste Organ der Seele verwendet wird, weil er die Fähigkeit bezeichnet, göttliche Offenbarungen aufzunehmen) mindestens zwei ganz entsprechende Vorstellungen im Syrischen: Erstens ist hauna – Geist – ein aktives Vermögen, das geistige (spirituelle) Dinge erfaßt, sich dem reinen Gebet widmet und durch Gnade in die göttliche Schau gestellt wird. Zweitens ist „Geist (mad’a) das geistige Wahrnehmungsvermögen, das dazu da ist, göttliche Schau zu empfangen, entsprechend den Pupillen der leiblichen Augen, in die das sinnlich wahrnehmbare Licht fällt” (Hl. Isaak der Syrer 1984, S. 323 Anmerkung). Geistiges (noetisches) Wissen empfangen nach Mt. 5,8 die im Herzen Reinen, wenn sie Gott sehen. Dieses Wissen ist es hauptsächlich, das durch den Sündenfall betroffen ist (Romanides 2002). Theologie im strikten Sinn beinhaltet eine geistig-empirische Erkennen Gottes und durch Gott der Realität.

6 Hinsichtlich der Philosophie in ihrer sechsten Bedeutung (als Erkenntnis Gottes und Seiner Forderungen) nimmt Philo, der alexandrinische Jude, eine ähnliche Position ein wie das orthodoxe Christentum. „Dieser Königsweg ist, wie wir gesagt haben, die wahre und echte Philosophie. Sie wird vom Gesetz als Äußerung und Wort Gottes bezeichnet” (Philo von Alexandria 1981, S. 208).

7 Der liturgische Charakter der christlichen Theologie, der dem naturhaft symbolreichen Charakter des menschlichen Lebens Rechnung trägt, umfaßt auch die liturgischen Rituale selbst; liturgisches Handeln ist rituelles Handeln, da der Mensch ein geborener Symbol-Anwender ist. „Hierfür typisch ist die Aufnahme der Liturgien des Heiligen Johannes Chrysostomos und des Heiligen Basileios des Großen unter die bekenntnishaften und dogmatischen Grundlagen der Orthodoxen Katholischen Kirche. Hinzu gehört überdies ihr typikon, d. h. ihre liturgischen Rubriken und die Weise ihrer zelebrierenden Umsetzung. Denn es sind nicht nur Gebete mit dogmatischem Inhalt, sondern das ganze liturgische Handeln und das Leben der Kirche, die ein einzigartiges theologisches Zeugnis, von Gnade erfüllt, bilden” (Vasileios 1984, S. 19).

8 Die modernistischen westlichen Christentümer haben, geleitet von der Philosophie der Neuzeit, dem Kern ihrer Theologie eine Verpflichtung zur kritischen Betrachtung der Dogmen eingepflanzt. Dies führt zur Weiterentwicklung von Dogmen: Das von den Aposteln Übergebene wird nach Maßgabe der Moden und aktuellen Probleme der jeweils neuen Zeitepoche umgearbeitet. Aus solchen Umarbeitungen gehen dann dogmatische Neuerungen hervor, wie etwa das Dogma der Unbefleckten Empfängnis, der Unfehlbarkeit des Papstes, der Segnung homosexueller Verbindungen usw. All dies hat seine Wurzeln in der Synthese zwischen Philosophie und Theologie, die das Entstehen des westlichen Christentums kennzeichnet. „Die scholastische Theologie des Westens lehrt, dass wir im Verlauf der Zeit eine größere Vertiefung in den Dogmen des Glaubens erfahren und dass diese sich immer noch weiter entwickeln. Doch das ist nicht die orthodoxe Lehre” (Hierotheos 1998, S. 58). Als Beispiel für die starke Betonung dieser Theorie der sich entwickelnden Dogmen innerhalb des Römischen Katholizismus mag eine Bemerkung von Richard John Neuhaus anläßlich der Debatte gelten, die von Hans Urs von Balthasars Überlegungen zur Möglichkeit einer universellen Rettung ausgelöst wurde (diese Häresie wurde durch das Fünfte Ökumenische Konzil verurteilt): „Balthasar hat kühne Vorschläge gemacht und damit den Prozeß in Gang gebracht, der bekannt ist als Entwicklung der Doktrin” (Neuhaus 2007, S. 63).

9 Genau diese der westlichen Eheschließung zwischen Glaube und Vernunft zugrundeliegende „Logik” führt auch zur Entwicklung von Häresien. „Wenn sich jemand auf die Logik und seine Einbildungskraft stützt, ist er auf dem falschen Weg. Und wenn wir sorgfältig hinsehen, erkennen wir, daß alle Häretiker diesen Weg genommen haben. Sie versuchen durch Logik und eigene Vorstellungen, in Verbindung mit der Philosophie, sämtliche Lehren der Kirche zu analysieren und zu verstehen. Im Gegensatz dazu verwenden die Heiligen Väter ein anderes Verfahren, das Hesychasmus genannt wird und aus der Reinigung des Herzens, der Erleuchtung des Geistes (nous) und der Vergöttlichung besteht” (Hierotheos 1998, S. 230).

10 Die Offenbarung des Wortes, des Logos, läuft nicht auf eine Autorisierung der Rationalität hinaus, sondern bezeichnet Gottes persönliche Gegenwart. „Das Wort Jahves war gemäß der hebräischen Psychologie mehr als einfache Ideen oder Lehren – oder sogar mehr als eine mystische Offenbarung – des Propheten. Es war nichts Geringeres als eine lebendige Kraft, die innerhalb der Gemeinschaft wirksam wurde; ein Wort, das nicht einfach vorhersagte, was geschehen würde, sondern eine Kraft, die die Dinge geschehen ließ” (West 1981, S. 267).

11 In seiner Ansprache am 12. September 2006 in Regensburg („Drei Stufen im Programm der Enthellenisierung”) versucht Benedikt XVI. eine maßgebliche Rolle für die menschliche diskursive Rationalität in der christlichen Theologie auf der Grundlage des ersten Verses des Johannesevangeliums zu rechtfertigen. Eine solche Rolle ist jedoch mit dem ursprünglichen Sinn des Textes unvereinbar.

12 Als das zweite Jahrtausend begann, hatte der Westen bereits die Warnung Clemens’ von Alexandria in bezug auf die Grenzen der Philosophie vergessen. „Die Lehre, gemäß dem Erlöser, ist in sich vollständig und ohne Makel, denn sie ist die Kraft und Weisheit Gottes; demgegenüber macht die griechische Philosophie durch ihre Herangehensweise diese Wahrheit nicht überzeugender.” (Clemens 1994, Bd. 2, S. 323, Buch 1, Kap. 20). Der Westen beachtete auch nicht, daß die Philosophie abhängig von der anfänglichen Setzung grundlegender Prämissen und Regeln der Beweisführung ist, obwohl diese Abhängigkeit in der alten Welt gleichermaßen von Christen wie auch von Heiden erkannt wurde. „Sollte jemand sagen, dass sich Wissen auf Beweisführung durch einen Prozess vernünftigen Nachdenkens stützt, so möge dieser vernehmen, dass die ersten Prinzipien nicht beweisbar sind, denn sie werden weder durch Kunstfertigkeit noch durch Scharfsinn erkannt.” (Clemens 1994, Bd. 2, S. 350). Diese Einsicht des Clemens von Alexandria wurde aufgenommen in das Werk pente tropoi von Agrippa. (Siehe Diogenes Laertius, Lives of Eminent Philosophers IX.88, und Sixtus Empiricus, Outlines of Pyrrhonism I.XV.164.)

13 Siehe Benedikt XVI., „Drei Stufen im Programm der Enthellenisierung”, 12. September 2006 in Regensburg.

14 Der Hl. Johannes Chrysostomos stellt klar, dass der Heilige Paulus, wenn er von den Griechen spricht, bei denen das Gesetz im Herzen wirksam ist, all jene ausschließt, die Götzen anbeten. Paulus bezieht sich nur auf jene Griechen, die schon in jeder Hinsicht richtig handeln, wie z.B. Melchisedek, Hiob, die Niniviten und Kornelius. (Siehe Chrysostomos’ Kommentar über Römer 2,10-16 in seiner fünften Homilie über Römer.)

1. Quelle: Der Schmale Pfad Bd. 23, März-April 2008, 121-147.
2. Quelle in Internet: http://bogoslov.ru/de/text/447344.html.