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Christen in der Türkei

27 Οκτωβρίου 2010

Christen in der Türkei

Der Altar der Paulus-Kirche in Tarsus, der Heimat des Apostels Paulus

Was religiöse Toleranz und Religionsfreiheit angeht, kann die Türkische Republik dem Osmanischen Reich das Wasser nicht reichen. Die heutige Türkei versteht sich als weltlicher Staat, doch verweigert gerade sie den – kaum noch vorhandenen – Christen elementare Rechte.

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In Antiochia nannten die Christen sich zum ersten Mal Christen. Die Stadt heißt heute Antakya und liegt auf dem Territorium der Türkei. Auch Tarsus, die Heimat des Apostels Paulus, wo Bundespräsident Christian Wulff jetzt einen ökumenischen Gottesdienst feierte, ist heute türkisch. Und viele der Stätten, die uns aus der Apostelgeschichte vertraut sind – von Ephesus bis Caesarea (heute unter dem Namen Kayseri die Heimat des türkischen Staatspräsidenten Gül) – belegen, was Wulff vor dem Parlament in Ankara sagte: Das Christentum gehört zweifelsfrei zur Türkei. Dies umso mehr, als die aus Zentralasien gekommenen Türken die ionischen Naturphilosophen, einen Thales von Milet oder Pythagoras von Samos, ja sogar Homer und die Hethiter für sich in Anspruch nehmen, wenn sie zeigen wollen, dass die Türkei „zweifelsfrei“ zu Europa gehöre.

Anatolien war Kernraum des christlichen Byzanz. Erst mit der Eroberung der Kaiserstadt Konstantinopel am 29. Mai 1453 durch die Osmanen fand dieses Reich sein Ende – nach elfhundert Jahren Herrschaft. Doch auch danach lebten Millionen von Christen (neben anderen religiösen Minderheiten) in dem – nun muslimischen – Imperium der Türken, die sich damals freilich noch Osmanen nannten.

Ein Idealstaat war das Osmanische Reich nicht. Es besteht kein Anlass, es schwärmerisch zu mythologisieren. So waren die Araber froh, als die osmanische Herrschaft nach vierhundert Jahren nach dem Ersten Weltkrieg endete; und auch die christlichen Völker des Balkans, die noch heute, und oft ein wenig ungerecht, vom „Türkenjoch“ sprechen, waren am Ende froh, ihre Freiheit und Unabhängigkeit errungen zu haben.

Unter den Osmanen waren Nicht-Muslime nicht gleichberechtigt

Doch was religiöse Toleranz und Religionsfreiheit angeht, kann die Türkische Republik dem Osmanischen Reich das Wasser nicht reichen. Da bleibt die vorgeblich laizistische Republik hinter dem islamischen Universalreich weit zurück. Unter den Osmanen waren die Nicht-Muslime zwar nicht gleichberechtigt, konnten jedoch nach Entrichtung der „Kopfsteuer“ als „millet“ oder religiös definierte „Nation“ ihre religiösen und privatrechtlichen Angelegenheiten weitgehend selbständig gestalten. Noch um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert lebten in Konstantinopel/Istanbul mehr Nicht-Muslime (gayrimüslüm) als Muslime. Der türkische Autor Mario Levi, selbst spaniolisch-jüdischer Herkunft, hat diesem in der Tat multikulturellen Leben in seinem großen Roman „Istanbul war ein Märchen“ ein bleibendes Denkmal gesetzt; und der Lyriker Ilhan Berk feierte die beiden Stadtteile Galata und Pera, wo lange überwiegend Christen lebten, in seiner Dichtung.

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Heute gibt es kaum noch Christen in der Türkei. Ihre Zahl ist so gering, dass sie statistisch kaum zu Buche schlägt. In spätosmanischer Zeit waren es zunächst panislamische, dann jedoch vor allem schon stark national-türkisch gesinnte Kräfte innerhalb der Jungtürken, die dazu erheblich beitrugen. Nach einem Vorspiel unter dem Sultan Abdulhamid II. sorgte der Genozid an den Armeniern während der Wirren des Ersten Weltkriegs für den ersten großen Aderlass unter den Christen. Mit dem 1922 erfolgten Bevölkerungsaustausch zwischen Griechen und Türken verließen fast eineinhalb Millionen (orthodoxe) Christen Kleinasien. Daran waren die Griechen allerdings nicht unschuldig – hatten sie doch, verführt durch die westlichen Mächte, den Versuch unternommen, durch einen Eroberungskrieg „Byzanz“ wiederzuerrichten. Dies vereitelte Kemal Pascha, der dann als Atatürk Gründer der Republik wurde.

Die Türkei verweigert den Christen elementare Rechte

Die heutige Türkei versteht sich als weltlicher Staat, doch verweigert gerade sie den – kaum noch vorhandenen – Christen elementare Rechte. Obwohl Religion offiziell als Privatsache gilt, hält man es doch für ausgemacht, dass der Türke auch Muslim ist – auch zum Leidwesen vieler nicht gläubiger Türken. Nationalismus und Islam sind insbesondere bei den Ultranationalisten eine verhängnisvolle Symbiose eingegangen. Die Morde an Christen in den vergangenen Jahren – etwa an dem armenischen Publizisten Hrant Dink – gingen alle auf das Konto der Nationalisten, die allen Ernstes in den wenigen Christen eine „Gefahr“ für den von Atatürk monolithisch konzipierten türkischen Nationalstaat sehen.

Unter der Regierung der islamisch-konservativen AKP, immerhin, hat es einige bescheidene Verbesserungen für die Christen gegeben. Doch von Religionsfreiheit kann keine Rede sein. Es wäre schon manches gewonnen, wenn das seit 1971 geschlossene orthodoxe Priesterseminar auf Chalki wieder geöffnet würde. Darauf hofft Patriarch Bartholomaios I., den der Bundespräsident nun in Istanbul besucht hat, schon lange. Bartholomaios repräsentiert nicht weniger als dreihundert Millionen orthodoxe Christen.

Muslime können in Deutschland ihren Glauben unbehindert ausüben, manche – wie die Konfession der Aleviten – sogar freier als in ihrer türkischen Heimat. Die Zahl der Moscheen steigt. Eine umfassende deutsche Imam-Ausbildung wird geplant. Da war es nur recht und billig, dass der Bundespräsident im Sinne der Reziprozität die Religionsfreiheit anmahnte und sich für die Rechte von Christen einsetzte.

Text: F.A.Z.

Bildmaterial: dpa

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