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Das orthodoxe Wiedererwachen in Rußland (2) (Γερμανικά, German)

4 Δεκεμβρίου 2009

Das orthodoxe Wiedererwachen in Rußland (2) (Γερμανικά, German)

als Inspiration für die Orthodoxie in Amerika1

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Priestermönch Seraphim Rose

Eine typische Bekehrung

Laßt uns zuerst auf die Bekehrung eines Menschen in Rußland schauen. Die wir zur Orthodoxie bekehrte Konvertiten sind, können wir unsere eigene Erfahrung, zum Glauben zu kommen, mit dieser typischen Bekehrungserfahrung in Sowjet-Rußland vergleichen und in Kontrast stellen. Und jene, die „orthodox geboren“ sind, können umso mehr lernen, den Glauben als Schatz zu bewahren, wenn ihr seht, durch welche Qualen ein Mensch oft geht, um ihn zu finden. Dies ist die Erfahrung von Juri Maschkov0, ein vor drei Jahren aus Rußland emigrierter. Er wurde eingeladen, anläßlich des Russia Orthodox Labor-Day Conference in New Jersey im Jahre 1978 zu sprechen, gerade drei Monate, nachdem er in Amerika angekommen war. Ich werde einen Teil seiner Rede zitieren und dabei meine Kommentare dazu abgeben. Er beginnt damit, als er eingeladen wurde, eine Rede zu halten, „bin ich verstört gewesen. Es schien mir, daß ich euch nichts zu sagen habe. Die erste Lebenshälfte verbrachte ich als Student und die zweite Lebenshälfte brachte ich in Gefängnissen und politischen Konzentrationslagern im Gulag zu. Was kann ich den Leuten schon sagen, die gebildeter als ich sind, die ja selbst besser über die Ereignisse in der Sowjetunion informiert sind?“

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Bereits hier tritt ein schlagender Kontrast zur Erfahrung von uns westlichen Konvertiten, aber auch der meisten Russen im Westen, auf. Für gewöhnlich haben wir viele Bücher über die Orthodoxie gelesen (wenn wir an unserem Glauben interessiert sind), und wir haben ein breites theoretisches Wissen darüber. Sodann haben wir eine sichere Kindheit und keine Erfahrung mit Repression oder mit dem Gefängnis gemacht. Doch ist dies ein Mensch, der unfreiwillig spricht, und dies nicht aus Bücherwissen und nach einer sicheren Vergangenheit, sondern schlicht aus seiner eigenen Erfahrung im Leiden. Bereits hier können wir etwas lernen.

Er fährt fort: „Darum habe ich mich entschlossen, meine Rede nicht niederzuschreiben, sondern zu sagen, was auch immer Gott mir in meine Seele eingibt. Und als wir dann aus Bridgeport, Connecticut, forteilten in einem prächtigen Auto über die erstaunlichen Autobahnen inmitten einer üppigen Natur, da begriff ich, daß mein ganzes im Geistlichen quälendes Leben im kommunistischen ‚Paradies‘, mein Weg vom Atheismus und vom Marxismus zum orthodoxen Glauben und zum russischen Nationalismus hin die einzige Information mit Wert ist, die euch interessieren kann. Mein Leben ist nur insofern von Interesse, als es ein Tropfen in den Ozean der religiösen und nationalen Wiedergeburt Rußlands ist.“

Auch hier können wir im Westen einen großen Unterschied zu unserer eigenen Erfahrung empfinden. Einige dieser Punkte mögen wie kleine Details erscheinen, doch sie offenbaren unseren geistlichen Zustand sehr. Wir im Westen haben gelernt, prächtige Autos, Autobahnen und die schöne Natur als gegeben hinzunehmen — wir würden keinen Kommentar über dergleichen abgeben. Doch solche Dinge, welche die Annehmlichkeit des Lebens in unserem Amerika darstellen, sind in der Sowjetunion unbekannt. Kürzlich sprach ich mit einer Emigrantin aus der UdSSR, und sie sprach von einer Verlogenheit und vom Verbrechen im heutigen Rußland, was uns in der freien Welt nahezu unbegreiflich ist: Sie liegt darin, daß ein Schriftsteller schön über die Blumen auf einem Feld sprechen und dabei die Tatsache verschweigen kann, daß dieses Feld der Ort von Folter und Ermordung unschuldiger Leute war. Ganz Rußland ist mit solchen Plätzen übersät. Und an einem dieser Orte, beim Konzentrationslager von Solovki werden die Touristen gewarnt, „auf den Wegen zu bleiben“ —, weil einige davon weggegangen sind und unerwartet menschliche Knochen fanden, die aus der Erde herausragten —, Überreste von Tausenden, die dort ermordet wurden. Wenn dies die Erfahrung eures Landes ist, dann könnt ihr euch nicht mit prächtigen Autos, Autobahnen und der Natur wohl fühlen. Dann ist da ein Schmerz in eurer Seele, der nach etwas Tieferem sucht.

„Ich wurde (fährt er fort) im blutigen Jahr 1937 im Dorf Klishev geboren, fünfundvierzig Kilometer von Moskau entfernt (in der Gegend von Ryazan). Mein Vater war von Beruf Schmied und starb im Krieg. Ich habe keine Erinnerungen an ihn. Meine Mutter arbeitete an mehreren Stellen, und sie war der Religion gegenüber gleichgültig. Ja, meine Großmutter war religiös, doch sie hatte in meinen Augen keine Autorität, weil sie vollauf Analphabetin war. Selbstverständlich wurde ich als Kind getauft, doch in meinen Schuljahren nahm ich mein Kreuz ab und bis zum Alter von 25 Jahren war ich überzeugter Atheist. Nachdem ich die siebenjährige Primarschule absolviert hatte, hatte ich das gut Glück, in Moskau in die höhere Schule für Kunst und Industrie einzutreten (in die frühere Stroganov Schule). Dort studierte ich fünf Jahre von sieben. So hat mein Leben äußerlich sehr erfolgreich begonnen … Mit der Zeit sollte ich das Diplom eines Künstlers erlangt haben und imstande, überall zu arbeiten, wo ich wollte.“

Dies ist ein typisches sowjetisches Leben — doch wie ernüchternd im Vergleich zu unserem wohl behüteten Leben in Amerika! Geboren in den „blutigen“ Jahren, nicht eines Krieges mit einem äußeren Feind, sondern von Stalins Säuberungsaktionen und Liquidationen, hat er den Vater im Krieg verloren und wuchs in einer Atmosphäre des Atheismus auf (wenn auch mit Erinnerungen an die orthodoxe Vergangenheit, insbesondere an die Taufe). Er hatte eine gute Zukunft in Aussicht in jenem sowjetischen Schulsystem, das so sehr auf Wettbewerb ausgerichtet ist. Dies alles ist eine weitaus andere Erfahrung als diejenige der Jugend unserer westlichen Welt. Doch dann stieß ihm etwas zu.

„Doch das langweilige Sowjetleben und die fehlende geistliche Befriedigung ließen mir keine Ruhe. Irgendwann am Ende des Jahres 1955, als ich 19 war, geschah etwas äußerlich Bemerkenswertes, das mein Leben auf den Kopf stellte und mich (schließlich) hierher brachte. Dieses Ereignis geschah in meiner Seele und bestand aus der Tatsache, daß ich begriff, in welcher Art Gesellschaft ich da lebte. Ungeachtet aller nackten sowjetischen Propaganda verstand ich, daß ich unter einem Regime absoluter Rechtlosigkeit und bedingungsloser Gewalt lebte. Sehr viele Studenten kamen zu jener Zeit zur selben Schlußfolgerung wie ich und mit der Zeit traten jene in Erscheinung, die wie ich dachten. Wir alle erachteten es als unsere Pflicht, den Leuten unsere Entdeckung mitzuteilen und irgendwie gegen den Triumph des Bösen zu handeln.“

Hier ist etwas Ähnliches mit der idealistischen Jugend im Westen und hier ist das Erwachen eines Bewußtseins für Wahrheit und höhere Werte, wie es in diesem Alter allgemein erfahren wird — mit der wichtigen Ausnahme, daß der Hintergrund dieser Erfahrung in Rußland ein schwieriges Leben, Leiden und Terror ist, während im Westen für gewöhnlich ein voller Bauch, ein leichtes Leben und eine Fülle von Freizeit vorherrscht. Im Westen hat diese jugendliche Erfahrung aus unterschiedlichen Gründen zu den zahlreichen Demonstrationen in den vergangenen Jahrzehnten geführt, einige von ihnen von äußerst niedrigem und unwürdigem Niveau. In der UdSSR ist das Ergebnis indes ein anderes.

„Doch der KGB schaut sorgsam nach allen Bürgern der UdSSR. Und als wir uns am 7. November 1958 zu einem Organisationstreffen versammelten (ich war damals 21 Jahre alt), um die Frage nach einem Untergrund-Samizdat zu entscheiden, wurden sechs von uns verhaftet und alle, die nicht bereuten, erhielten die Höchststrafe wegen anti-sowjetischer Agitation — jeder sieben Jahre Konzentrationslager. So begann in meinem Leben ein neuer Weg.“

Es sollte vermerkt werden, daß nichts über irgendeine religiöse Bekehrung gesagt wird. Dies ist immer noch jugendlicher Idealismus darüber, im Gulag auf die Probe gestellt zu werden.

„Alle zehn waren wir Atheisten und Marxisten des Lagers ‚Euro-Kommunist‘. Das heißt, wir glaubten, der Marxismus in sich selbst, sei eine wahre Lehre, welche die Leute in eine lichte Zukunft führte, ins Reich der Freiheit und der Gerechtigkeit. Und die Kriminellen aus Moskau wollten diese Lehre nur nicht im Leben anerkennen. Im Konzentrationslager erstarb diese Idee vollständig und auf immer in uns.“

Und jetzt beginnt die geistliche Wiedergeburt.

„Ich möchte etwas vom Prozeß der geistlichen Wiedergeburt offen legen, damit ihr sehen könnt, wie unfehlbar er in den Russen vor sich geht. Nicht nur ich und jene mit mir waren es, die jenen geistlichen Weg vom Marxismus zum religiösen Glauben durchmachten … Dies ist eine typische Erscheinung der sowjetischen Konzentrationslager.“ (Er erwähnt Vladimir Osipov und Diakon Barsanufi Haibulin als Beispiele jener, die als Atheisten in die Konzentrationslager kamen und sie als orthodoxe Gläubige verließen.) „Was geht mit diesen Russen vor sich? Der Prozeß der geistlichen Wiedergeburt hat zwei Stufen. Zunächst erwägen wir die Essenz des Marxismus und werden von jeglichen Illusionen diesbezüglich befreit. Unter einer tiefgreifenden und gedankenreichen Analyse entdecken wir, daß der Marxismus in seiner Essenz eine Lehre des vollständigen Totalitarismus ist, das heißt, absolute kommunistische Sklaverei. Und wenn sie einmal die Verwirklichung des marxistischen Programms unternommen hat, wird jede kommunistische Partei in jedem Land gezwungen zu wiederholen, was die Moskauer Kommunisten getan haben und tun, oder sie muß dem Marxismus eine Absage erteilen und sich selbst liquidieren. Wenn wir diese schlichte Wahrheit einmal verstanden haben, verlieren wir die ideologische Basis, mit welcher wir uns der marxistischen Sklaverei widersetzten.“

Diese Erfahrung ist nicht viel anders als das, was im Westen geschieht, wenn eine junge Person ihre Illusionen in Bezug auf Demokratie und Fortschritt verliert, auch wenn dies für gewöhnlich eine weniger extreme Erfahrung ist, als das was in Rußland geschieht, wo der Kommunismus praktisch „Staatsreligion“ ist. Doch die nächste Stufe der „geistlichen Wiedergeburt“ geschieht in Rußland unter ganz anderen Umständen.

„Wenn wir ins Lager kommen, sind wir Russen von Feinden umgeben, weil die Nationalisten jeglicher Färbung (Ukrainer, Balten, Armenier, Usbeken und andere) die historische Einzigartigkeit der marxistischen Diktatur nicht begreifen, gehen sie den Weg des geringsten geistigen Aufwands und identifizieren die internationale Macht (des Kommunismus) mit der orthodoxen Monarchie und klagen uns Russen des Chauvinismus an. So gibt es nirgends Rettung: Einerseits vernichten uns die Kommunisten, andererseits bereiten die Nationalisten das Gleiche für uns vor. Wenn wir aus dem Lager befreit sind, sind unsere Aussichten so, wie wir es keinem Feind wünschen möchten: Entweder ins Lager zurückzugehen um für den Rest unseres Lebens dort zu bleiben oder in einem psychiatrischen Gefängnis zu sterben oder sich durch die Tschekisten ohne Gerichtsverfahren und Untersuchung ermorden zu lassen.

In dieser Verfassung der geistlichen Krise ohne Ausweg kommt unausweichlich die Hauptfrage zum Weltbild auf: Wozu lebe ich, wenn es keine Rettung gibt? Und wenn dieser angsterfüllte Augenblick kommt, fühlt ein jeder von uns, daß der Tod ihn schon an der Gurgel gepackt hat: Wenn keine Antwort irgendeiner Art kommt, gelangt das Leben zu einem Ende, weil ohne Gott nicht nur ‚alles erlaubt ist‘, sondern das Leben selbst keinen Wert und keinen Sinn hat. Ich sah im Lager, wie Leute ihren Verstand verloren und im Selbstmord endeten. Und ich selbst spürte deutlich, wenn ich nach alledem zur unverrückbaren und endgültigen Schlußfolgerung kommen sollte, daß es keinen Gott gibt, dann bin ich schlicht verpflichtet, im Selbstmord zu enden, weil es für ein Geschöpf mit Vernunft schändlich und herabsetzend ist, ein sinnloses und peinigendes Leben auszustehen. So entdecken wir auf der zweiten Stufe der geistlichen Wiedergeburt, daß der Atheismus bis zu seinem logischen Ende gedacht einen Menschen unausweichlich ins Verderben bringt, weil es eine Lehre der Unsterblichkeit, des Bösen und des Todes ist.“

Diese Erfahrung ähnelt auch dem, was gewisse westliche Konvertiten erfahren haben. Doch die Dringlichkeit der Situation auf Leben und Tod, in der er sich vorfand, von Angesicht zu Angesicht mit dem sowjetischen Terrorapparat, ergreift eine tiefere Ebene, als wir hier es je erfahren haben.

„Ein tragisches Ende (Selbstmord oder Irrsinn) wäre auch mein Los gewesen, wenn zu meinem Glück sich am 1. September 1962 nicht das größte Wunder in meinem Leben ereignet hätte. An jenem Tag geschah nichts, es gab keine Impulse von außen. Ganz allein dachte ich über mein Problem nach: ‚Sein oder nicht sein?‘ Zu jener Zeit hatte ich mir schon hinlänglich vergegenwärtigt, daß der Glaube an Gott rettet. Ich wollte wirklich sehr an Ihn glauben. Doch ich konnte mich nicht täuschen: Ich hatte keinen Glauben.

Und plötzlich kam da eine Sekunde, als ich zum ersten Mal irgendwie sah (als ob sich eine Tür geöffnet hätte aus einem dunklen Raum heraus auf eine sonnige Straße), und in der nächsten Sekunde wußte ich schon mit Sicherheit, daß es Gott gibt und daß Gott jener Jesus Christus der Orthodoxie ist, und nicht ein Hindu, ein Buddhist, ein Jude oder ein anderer Gott. Ich nenne diesen Augenblick das größte Wunder, weil dieses genaue Wissen nicht zu mir kam durch räsonieren (das weiß ich sicher) sondern irgendwie anders. Und ich bin außerstande, diesen Augenblick rational zu erklären … Und durch ein solches Wunder begann mein geistliches Leben in Konzentrationslagern und Gefängnissen und in einer erzwungenen Emigration. Ich hoffe, Gott wird mir helfen, all die Schwierigkeiten eines Emigrantenlebens zu ertragen.

Und dieser ‚Augenblick des Glaubens‘, dieses größte Wunder wird jetzt in Rußland von Tausenden erfahren und nicht nur in Konzentrationslagern und Gefängnissen. Igor Ogurtsov, der Gründer der Social-Christian Union kam nicht in den Lagern zum Glauben, sondern an der Universität. Die religiöse Wiedergeburt ist ein typisches Phänomen im zeitgenössischen Rußland. Alles, was geistlich lebendig ist, kehrt unausweichlich zu Gott zurück. Und es ist absolut offensichtlich, daß ungeachtet der ganzen Macht der kommunistischen Politik ein solches rettendes Wunder nur vom allmächtigen Gott vollzogen werden kann, Der das russische Volk nicht in schrecklichem Leiden und in scheinbarer vollständiger Verteidigungslosigkeit gegenüber den vielen Feinden gelassen hat.“1

Fortsetzung folgt…

Quelle:

Der Königsweg in der Postmoderne. Beiträge aus der “Orthodoxen Welt”. Priestermönch Seraphim Rose. Edition Hagia Sophia – Grafik & Verlag Gregor Fernbach (www.edition-hagia-sophia.de), Straelen, Deutschland, 1. Auflage, 2009, Seiten 99-101.

Internet: http://www.orthodoxie-versand.de/product/158/priestermoench-seraphim-roseder-koenigsweg-in-der-postmoderne.html